Reformationsfest in Michelau

Die evangelisch-lutherische Kirche in Bayern hat am Mittwoch den Reformationstag in zahlreichen Gottesdiensten und vielfältigen Veranstaltungen gefeiert. In der Johanneskirche in Michelau wurde der Tag als Fest der Zukunft der Kirche begangen, denn Gott belebe seine Kirche immer wieder neu, betonte Dekanin Stefanie Ott-Frühwald in einem zentralen Gottesdienst.

Unmittelbar danach freute sich die Dekanin, dass sich Heidelberger Universitätsprofessor Klaus Tanner im Jubiläumsjahr von 1848, 1918 und 1968 nach Michelau aufgemacht hatte.

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In einer Kanzelrede ging Professor für Systematische Theologie und Ethik der Frage nach, was Protestantismus und Protest miteinander zu tun haben und ob es einen Zusammenhang zwischen großen gesellschaftlichen Veränderungen und dem evangelischen Glauben gibt.
Tanner, einer der bedeutendsten Ethiker unserer Zeit, ist selbst in Oberfranken aufgewachsen und kann sich noch gut an die Zeit des „Eisernen Vorhangs“, der Grenze zur DDR erinnern. An dieser Grenze wurde scharf geschossen, sodass 327 Männer, Frauen und Kinder ums Leben gekommen sind. Auch Michelau hat zum Grenzlandgebiet gehört. Wer heute unbeschwert über die ehemalige Grenze fahre, verdanke das auch der „Friedlichen Revolution“, unterstrich der Kanzelredner und verwies auf viele Faktoren, die den Zusammenbruch der DDR bewirkt hätten. Geschichtliche Umbrüche ließen sich zwar nicht monokausal mit einfachen Mustern erklären.

Doch evangelische Christinnen und Christen, Pfarrer und Pfarrerinnen in der DDR hätten einen entscheidenden Beitrag zum friedlichen Wandel geleistet. Sie haben Friedensgebete und Demonstrationen organisiert, sich als Vermittler und Sprecher engagiert und an Runden Tischen erste Weichen gestellt für den Weg zu einer parlamentarischen Demokratie. Autor Gerhard Rein habe deshalb einem seiner Bücher den Titel „Die protestantische Revolution“ gegeben. Friedliche Revolutionen auf dem Feld des Politischen seien aber die Ausnahme, machte Professor Tanner deutlich und wies darauf hin, dass meistens Revolution und Krieg zusammengehörten. Dies lasse sich auch an der deutschen Geschichte studieren.

Als die Nationalsozialisten  im Jahr 1933 in Deutschland die Macht übernahmen, hätten sie das in ihrer Propaganda als „Nationalsozialistische Revolution“ bezeichnet. Die Folge dieser „braunen Revolution“ war eine Schreckensherrschaft mit unzähligen Toten. Die Zeit der NS-Herrschaft werde in den Evangelischen Kirchen überwiegend als eine Zeit erinnert, in der Theologen und Kirchenführer Widerstand geleistet hätten.

Doch dies sei nur ein Teil der Wahrheit, konstatiert Klaus Tanner. Insbesondere am Anfang der NS-Herrschaft habe es Theologen gegeben, die die Nationalsozialistische Revolution begrüßt und gerade von ihrem lutherischen Glauben her als ein Hoffnungszeichen interpretiert hätten. Im weiteren Verlauf ging der Professor für systematische Theologie und Ethik auch auf die 68er Revolution ein und schloss daraus, dass der Begriff „Revolution“ im heutigen Verständnis für einen Neuanfang und einen radikalen Wandel steht.

Die treibende Kraft in revolutionären Bewegungen in der modernen Welt sei dabei die Idee der Freiheit. Revolutionäre seien immer von der Hoffnung auf eine bessere und gerechtere Welt getragen. Sie gingen über das Bestehende hinaus und deshalb kippten Revolutionen schnell in Terror um. Doch die Forderung nach mehr Freiheit reiche nicht aus, jede Revolution müsse auch Vorstellungen haben, wie die Welt neu gestaltet werden müsse. Wichtige Stationen auf dem deutschen Weg zu mehr Freiheit seien deshalb politische Prozesse der Verfassungsgebung gewesen, in denen neue politische Formen geschaffen wurden.

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Zur Frage, ob die Reformation eine Revolution gewesen sei, zitierte Professor Tanner Philosophen und Theologen und verwies schließlich auf viel Licht und Schatten der Wirkungsgeschichte der Reformation. Für eine triumphalistische Erinnerung gebe es daher keinen Grund, aber gute Gründe für ein dankbares Erinnerns an das, was aus dieser Tradition an Weiterführendem zu unserer Kultur beigetragen wurde.

Luther sei weder politischer Revolutionär noch Kulturreformer gewesen, sondern habe seit 1512 eine Professur für biblische Theologie inne gehabt. Als Theologe habe er dazu beigetragen, wichtige Fundamente zu legen, auf denen Spätere eine moderne Kultur aufbauen konnten. Dazu gehöre auch Luthers Weichenstellung im Verständnis von Freiheit, das Professor Tanner in vier Aspekten beschrieb. Nach Luther könne der Mensch nur im Horizont seiner Beziehung zu Gott gesehen werden.

Der Glaube, dass Gott die Menschen geschaffen hat, vermittelte ihnen eine Würde und Unverfügbarkeit, die für alle Menschen gilt und in Luthers Auffassung vom Priestertum aller Gläubigen zum Ausdruck kommt. Nach den Worten des Kanzelredners geht es bei Luthers Verständnis menschlicher Freiheit nicht, wie in der Geschichte immer wiederbehauptet wurde, um die Rechtfertigung des Rückzugs auf eine bloße Innerlichkeit.

Vielmehr dürfe sich der Mensch, befreit von der Sorge um sich selbst dem Nächsten zuwenden. Luther habe in seiner Freiheitsschrift den Zusammenhang zwischen Freiheit und Liebe, die sich in den Dienst am Nächsten stellt, programmatisch in seiner Doppelthese festgeschrieben:“ Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.“ Nach diesem religiösen Verständnis werde deutlich, dass der Mensch nicht Schöpfer, sondern Geschöpf ist.

Seine von Gott gegebene Freiheit könne der Mensch aber auch missbrauchen, denn er sei zum Bösen fähig. Die Ambivalenz menschlicher Freiheit sei unter dem Stichwort „Sünde“ ein zentrales Element des religiösen Freiheitsverständnisses, erläuterte der Theologe. Martin Luther sei kein Prinzipientheoretiker gewesen. Er habe seinem christlichen Glauben vielmehr mit großer schöpferischer Kraft neuen Ausdruck verliehen und dabei die Grunderfahrungen menschlichen Lebens neu durchleuchtet in Beziehung zum Glauben gesetzt: die Suche nach Gewissheit und Vertrauen, Zweifel und Verzweiflung, Angst vor dem Tod, dem Leiden der Krankheit, aber auch Freude und Heiterkeit. Prallvoll von Lebenserfahrung habe Martin Luther oft mit schonungsloser Direktheit alle Höhen und Tiefen des Menschen anschaulich gemacht.

Als Meister der Sprache habe er in immer neuen Wendungen die inneren Lebensbewegungen und die Unruhe des Herzens beschrieben. Kraft und Zweifel, Hoffnung und Angst, Seligkeit und Zittern seien für ihn nahe beieinander gelegen.

Doch das Vertrauen, einen festen Halt zu haben, habe ihn durch alle Kämpfe und Anfechtungen hindurchgetragen. In Auslegung des 32. Psalms forderte Professor Klaus Tanner seine Zuhörer mit den Lutherworten auf, mit Gottvertrauen „keck und mutig“ ihren Weg durchs Leben zu gehen.